Selbst schuld!

… das sollte meine Lektion für heute zumindest sein.

Es ist fast schon Ironie. Heute wollte ich den ersten Blogbeitrag zum Thema Reise Vorbereitung schreiben, hatte jedoch vorher eine Runde mit dem Motorrad drehen wollen. „So schlimm wird das Wetter ja nicht werden. 20 Minuten und ich bin wieder daheim“.

Dass ich eine Stunde später mit 200kg auf dem Knöchel im Matsch liegen würde, dachte ich nicht.

Wie bitte?

Nun, fangen wir von vorne an. Ich möchte Dir als Leser einen unverfälschten und authentischen Erfahrungsbericht bieten, ich teile daher gerne auch meine eigenen Fehler – diese sogar umso mehr!

  • Ist es schlau, Offroad bei nassem Wetter und unbekanntem Terrain zu fahren? Nicht unbedingt!
  • Ist es schlau, mit Sommer-Straßenbereifung Offroad zu fahren? Nein!
  • Ist es schlau, mit auseinanderfallenden Billig-Motorradklamotten Offroad zu fahren? Nein!

Dennoch hat mich all das nicht davon abgehalten, es trotzdem zu probieren – „Ist ja immerhin ein Geländemotorrad“, sagte ich mir bei der wohl zahmsten Autobahn-G650GS auf der Welt.

Mit den alten „Motorrad“Stiefeln vom Vater, einer warmen Stoffhose und relativ zeitgetreuer Jacken-Helmkombi tigerte ich also los auf der BMW, die ich vor einer Woche gekauft hatte. Dass sie nicht das Motorrad für eine Weltreise war, wusste ich damals schon nach der Abholung. Der Plan war, mit dem Verkauf zum Saisonstart die Reisekasse etwas aufzubessern.

Die BMW G 650 GS frisch abgeholt

Die Straßen waren zwar etwas nass, ohne die Koffer fuhr sie sich jedoch sehr viel besser als zur Abholung. Selbstbewusst und fast schon Kühn war ich den Asphalt entlanggefahren, auf der Suche nach einer Möglichkeit, sie auch im Offroad kennen zu lernen. Die erwähnten Straßenprofile auf den Reifen verdrängte ich, nach dem Motto „Ich probiere Offroad ja nur ein paar Meter aus“.

Falsch gedacht

Ich fand also einen netten Feldweg. Etwas bergab und gut befestigt, fast schon Pflasterstein. Weggerutscht war ich nicht, das verwunderte selbst mich.

Das wäre der Moment gewesen, an dem ich hätte sagen sollen „Cool. Jetzt umdrehen und nachhause“. Im Adrenalin jedoch die Gegenfrage: „Wie bremse ich bergab auf glattem Feldweg eigentlich?“

Noch positiv gestimmt, sah ich die fehlende Bremsmöglichkeit als Grund, die Flucht nach vorn zu ergreifen. „Irgendwann wird der Weg wieder besser, dann drehe ich um“. Dass es so weit nicht mehr kommen sollte, wusste ich nicht. Denn wer einmal über die großen Feldweg-Rillen im steilen Winkel gefahren ist, wird sich denken können, was passierte…

WUMMMS

..Dachte sich die BMW

Bevor ich es realisieren konnte, lag ich bergab im Graben, mein Fuß begraben unter einem 200kg Metallklotz, sicher verpackt in einem hauchdünnen Fetzen „Lederschuh“.

Wer mich kennt, weiß, dass ich in Stresssituationen gerne alle nicht-lebenswichtigen „Wehwehchen“ (Hunger, Durst, ein zerquetschtes Bein) so lange verdränge, bis die Gefahr beherrscht ist.

Die Klamotten direkt nach dem Unglück

„Was ist schlimmer als zerquetschte Füße??“

Nun, stelle dir vor: Dein Motorrad spielt auf einmal Bettdecke, deine Matratze ist ein einsamer, matschiger Feldweg, mitten im Nirgendwo. Es ist 15:00, dein Handy-Akku hat nicht viel Strom und du weißt: Wenn es dunkel wird, findet dich keiner mehr. Ob du Internet oder Telefonnetz empfängst? In Deutschland? Da ist Lotto spielen sicherer!

In diesem Moment stellte ich also fest:

  1. Auf mir liegen 200kg Schwermetall und ich weiß nicht, ob ich sie (bergab im Schlamm) wieder aufrecht bekomme – Egal ob mit einem- oder zwei Beinen.
  2. Ich habe einen Motorschutz. Mit Glück kann das Motorrad noch irgendwie fahren, dann komme mit einem blauen Auge davon und kann im Bestfall mein rechtes Bein später in der Zivilisation verarzten lassen.
  3. Ich weiß nicht, ob und wie lange ich noch Kommunikationsmöglichkeiten habe

Je nach Handy kann es sehr schnell sein, dass auch ein halbgeladener Akku mit Energiesparmodus gerademal für einen Anruf taugt – währenddessen spielten die In-Ear Kopfhörer noch laut Musik und zogen Strom.

Handeln ist jetzt gefragt

Nachdem ich mich sehr schnell unter dem Motorrad weghieven konnte, stellte ich beruhigend fest: „Laufen funktioniert!“. Bewusst war ich mir jedoch, dass ich das dem Adrenalinrausch zu verdanken hatte und die Realität in ein paar Minuten ganz anders aussehen könne. Pragmatisch denkend der Masterplan: Adrenalinschub nutzen und das Motorrad aufstellen.

…Und siehe da, hat sogar funktioniert!

Das arme Motorrad nach seiner Nahtod-Erfahrung

Aus Überleben wird Komfortsport

Nachdem das Motorrad stand, war zum ersten Mal kurz Aufatmen angesagt: Handschuhe ab, Kopfhörer aus, ein Bild für die Denkzettel-Grußkarte knipsen.

Nicht allzu erfreulich war jedoch der Handy-Akkustand. Mit satten 30% hatte ich begonnen. Dann wurden jegliche Energiesparmodi aktiviert, und damit sind in einer Minute auch schon satte 4% verloren gegangen. Auch das Mobil/Telefonnetz hatte Arbeit, ein Signal zu finden.

Mit einem Funken Sicherheit gewappnet nur noch die Frage: „Wie geht’s denn dem Motorrad?“

Wissen ist das beste Werkzeug

Kurzer Einschub: Glücklicherweise hatte ich vor einigen Wochen begonnen, mich tiefer in Motorradtechnik einzulesen – die grundlegenden Bestandteile und generelles Detailwissen hatte ich somit parat. Nur schade, dass ich von den Eigenheiten der BMW bis dato keinen Schimmer hatte – Vorherige Prüfsicht somit fast unmöglich.

Ich versuchte mein Glück, den Motor zu starten – Erfolg! Nur leider über’s Ziel hinaus. Der Motor dreht ohne Griff zum Gas direkt auf ~10.000RPM hoch. Motor aus, Zeit zur Fehlersuche.

Nachdem die eigene Tollpatschig ausgeschlossen war (Vielleicht doch beim Start das Gas aufgedreht? Ich kenn mich doch!), sah ich mir den scheinbar sehr lockeren Gasgriff einmal genauer an.

Voderansicht Gasgriff + Bowdenzug

Mal davon abgesehen, dass der Hand-/Griffschutz wahre Wunder für den Rest des Griffs gewirkt hat, schien er den Gas-Bowdenzug fast durchtrennt zu haben. Leider hatte ich von diesem Bauteil nur Ahnung am Fahrrad. Die Prinzipien verstand ich, eine Reparatur war jedoch nicht machbar. Außerdem: Je länger das Korrigieren gedauert hätte, desto mehr Angst hätte ich, dass der Zug während der Fahrt komplett wegreißt und mich…

  • a) mit Vollgas direkt wieder in den Schlamm reißt oder
  • b) das Gas auf einen Schlag wegnimmt und es mich über den Lenker schmeißt

Nach einer deprimierenden Internetsuche entschied ich mich dann, dass es die Akkuladung nicht wert ist.

Gestrandet in Deutschland

Nun stand ich da. Ich spürte langsam die Schmerzen im Fuß. Ich musste zu dem Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass ich irgendwann statt Laufen nur noch humpeln könne – ob es sich um Minuten oder Stunden handeln würde, wusste ich nicht und wollte ich auch nicht herausfinden.

Glücklicherweise war es ca. 15:30 – nicht alle Werkstätten hatten schon Feierabend und via GPS konnte ich „aufatmen“ – das nächste Dorf war „nur“ 1,7km Feldweg entfernt. Dennoch zu weit – zum Laufen und erst recht zum Schieben.

Ich schickte zuerst den nächsten Freunden und Bekannten meinen Whatsapp-Standort mitsamt Unfallinfos und die Bitte, falls ich mich nicht einer Stunde melde / das Handy leer ist, die Polizei/ADAC/etc. hinzuzuziehen. Klar, war die Situation schlecht, doch wusste ich in Deutschland, dass ich definitiv nicht in akuter Lebensgefahr war – zumindest wenn jemand weiß, wo man ist.

Mit der restlichen Akkuladung, dem schlechten Empfang und der knappen Zeit bis zum 16:00-Feierabend würde ich am Handy die Werkstatten in der Nähe für Telefonnummern abklappern. Viele hatten leider keine Telefonnummer auf Google Maps – andere nur auf deren großen Websites, die in der Pampa leider nicht laden wollten.

Ein netter Lackierer hatte abgenommen, leider haben diese keinen Transporter gehabt. Er hatte mir die Nummer seines Vaters gegeben, der eine Werkstatt betreibe. Dieser würde jedoch nur Autos reparieren und hatte daher keinen Motorradtransporter/Anhänger. – Diese Erkenntnis schränkte die Möglichkeiten noch weiter ein.

Noch ein Hauch fast schon witziger Ironie: Eine Motorradwerkstatt hätte gerne helfen können, deren Motorradanhänger ist jedoch vor einer Woche selbst verunfallt.

In Deutschland gibt’s nur Spießer und Katzen

Nachdem ich dann sogar ein paar Motorradwerkstätten mit Transporter fand, war ich erst sogar froh! Nur dann sagte man mir am Telefon, dass sie wegen zu wenig Personal niemanden schicken konnten (Ja danke auch..)

Ich gab die Hoffnung langsam komplett auf und wollte den ADAC rufen – ich war leider kein Clubmitglied und so müsste ich die Abschleppkosten selbst bezahlen. Ich vermutete, dass es sich hier um vierstellige Beträge handeln würde. Das würde bedeuten, dass ich zwar sicher nachhause kommen würde, ich mir eine Weltreise 2023 jedoch wahrscheinlich aus dem Kopf schlagen müsste.

Ich war schon am Hörer, als mir auf einmal eine Katze auf’s Motorrad sprang – ein Zeichen? Und erst dann war es, als mir der Rest der tierischen Truppe in’s Auge sprang, die sich auf mich stürzte: Eine weitere, graugetigerte Katze (wie sich herausstellt das getigerte Geschwisterlein) und ein riesiger Schweizer Berner Sennenhund.

Hier der Sennenhund mit einer Ziege zu sehen, leider ohne Katzen

Erst zu guter Letzt fiel mir die Besitzerin der Tierbande auf, die mit der Truppe scheinbar Gassi gehen wollte, jedoch direkt auf mich zuging.

Bei der Besitzerin schien es sich um niemand anderen zu handeln als die Besitzerin des Pferdehofs, welcher in Sichtweite lag. Zuerst wollte sie mich anmahnen, dass das Befahren der Feldwege (trotz fehlenden Verbotsschilds) nicht erlaubt wäre. Nachdem sie jedoch das Motorrad und mich braun eingefärbt sah, fand sie, dass ich gestraft genug war (so fühlte ich mich auch).

Stattdessen unterhielten wir uns freundlich, hatte mit ihrem Handy ebenfalls ein paar Werkstätten angerufen und geholfen, mit meinem mittlerweile schmerzenden Bein das Motorrad bergauf zu ihrem Pferdehof zu schieben (damit der Abschlepper das Motorrad später verladen kann).

(Die Oma fährt) am (Hühner)stall Motorrad

Menschen halten zusammen

Nach den erfolglosen Werkstatt-Anrufen zunächst getrübt, wusste ich zuvor nicht, ob ich die Weltreise nach diesem Tag wirklich noch machen wollen würde. Alle Reisenden erzählten von großartigen Geschichten in unschönen Situationen und über Freunde auf dem Weg, und bei mir schien es dem Mechaniker nicht interessant genug, dass ich mit einem mittelschwer verletzten Fuß in der Pampa lag und mit jeder Minute weniger Möglichkeiten hatte, mich selbst aus der Patsche zu retten. Ich hatte weder Essen, noch Trinken, noch irgendwas an Werkzeug – leere Taschen und nicht mal ein Taschentuch, und ich wusste: Das wird mir auf der Weltreise nicht nur einmal passieren. Doch dann kämpfte weiter und war entschlossener denn je, dieses Motorrad den steilen Feldweg hinauf zu hieven, denn wenn nicht jetzt, wann dann? Und wer, wenn nicht ich?

Umso erfreulicher wurde ich dann mit der Güte der Hofbesitzerin belohnt, welche mich wahrscheinlich sogar im Stall schlafen lassen hätte, gäbe es keine andere Möglichkeit – etwas, was ich in Deutschland nie zu erleben geträumt hätte! Wir hatten auch noch überlegt, wer vom Stall einen Hänger haben könnte oder wir irgendwie das Motorrad zurückschaffen könnten, aber trotz bester Bemühung auch hier keine Abkürzung.


Ich dachte bisher immer:

Wer freundliche Menschen will, dem sei geraten: Je weiter weg von Deutschland, desto freundlicher die Paten.

Umso mehr wurde ich an diesem Tag eines Besseren belehrt – belehrt, dass es viele hilfsbereite Seelen gibt. Überall. Sie zeigen sich einem jedoch erst, wenn man sie braucht (und sie hoffentlich verdient hat).

Wenn man lachen kann, ist alles halb so schlimm

Nachdem wir uns noch etwas länger im Stall unterhalten haben und ich für die Tierbande nun komplett zum Kuschelspielzeug wurde, war alles halb so schlimm. Im Stall war es warm, die Stimmung war herzlich. Folgendes Bild hing im Stall, und wenn ich etwas von diesem Erlebnis mitnehmen sollte, so ist es das:

Ein bedeutsames Poster im Pferdestall

Und so verging die Zeit schnell, bis der letztendlich bestellte ADAC-Abschlepper zum Dienst erschien. Der ADAC hat mich mitsamt rotlackiertem Metallklotz nachhause geschliffen und sich insgesamt mit knapp 400€ eine goldene Nase an mir verdient – das soll mein Lerngeld für diesen Tag sein – mal von den Reparaturarbeiten abgesehen, die auf mich warten würden.

Ein Fazit

Dazu viel sagen kann ich noch nicht ganz – es ist derzeit 21:00 am selbigen Tag und, wie vermutet, komme ich seit dem teuren Taxi nur noch humpelnd vom Fleck. Vermutlich wird der Fuß verstaucht sein, doch der Arzt wird morgen bessere Auskunft geben können.

Alles in allem bin ich tatsächlich froh darüber, was passiert ist. Natürlich,

  • ich werde die BMW trotz Reparatur nicht mehr annähernd zum Gewinnpreis verkaufen können,
  • mein Fuß wird sicher ein paar Wochen zum Verheilen brauchen und
  • Ich habe die ein- oder anderen Freunde (und mir) ziemlichen Schrecken eingejagt.

Auf der anderen Seite jedoch bin ich froh, dass es nicht auf der großen Weltreise war, sondern so früh in der Reisevorbereitung – fast schon im „gewohnten Umfeld“ (ca. 10km von daheim). Dadurch waren viele Notfallhürden wie Sprachbarrieren, Gepäck, „weiter“ Heimweg usw. nicht gegeben.

Ich habe einen enorm guten Eindruck bekommen, was mich auf meiner Reise erwarten wird – ich weiß, dass es nicht immer so schlimm sein wird und ich besser vorbereitet sein werde (und sollte), andererseits kann ich davon ausgehen, dass es weitaus schlimmer kommen kann (und wird).

Ich kann für’s nächste Mal besser einschätzen, was zu tun ist und wie so etwas enden kann. Vor allem weiß ich jetzt, wieso gut schützende Motorradkleidung extrem wichtig ist und dass der Motorradschutz beim Unfall nicht vernachlässigt werden sollte.

Meine persönliche Lebenslektion wird sein, nie wieder unvorbereitet irgendwo hin zu gehen oder zu fahren. Man wird es seltenst benötigen, dennoch hätte mir in diesem Fall allein ein Taschenmesser, eine Powerbank oder auch nur etwas Wasser extrem geholfen – man stelle sich vor, das Bein hätte einen krummen Stein abbekommen und das Ganze wäre mit Schürfungen und Blutungen geendet.


Wenn ich mit dieser Geschichte zukünftigen Reisenden etwas mitgeben möchte, dann ist es, dass es kein Abenteuer ohne Risiko gibt. Und umso wichtiger ist es, dass der Reisende weiß, warum er das Abenteuer eingeht und dahinter steht. Denn der, der das weiß, für den wird jedes Risiko eine Herausforderung und Provokation sein, um das Beste aus sich selbst heraus zu holen.

Go Big or Go Home.

Update 12.03.2023

Beim Arzt wurde, wie ein Wunder, festgestellt, dass weder was verstaucht-, noch gebrochen wurde. Zwar war ich den Rest der Woche auf Krücken unterwegs, mittlerweile ist jedoch fast alles wieder verheilt. Das Motorrad wurde wegen schlechtem Wetter noch nicht repariert, steht aber auf der To-Do.
Bei meiner Versicherung konnte ich außerdem herausfinden, dass ich unwissentlich einen Schutzbrief mitgekauft hatte. Wäre hierüber die Abschleppung organisiert worden, wäre sie sogar gratis(!) gewesen. Für die eigene Abschleppung wurden immerhin 150€ erstattet – besser als nichts.

Im Endeffekt also alles nochmal gut gelaufen. Glück gehabt – nur sollte man sich darauf nicht verlassen.

Ein Kommentar

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